„Ich heiße Thomas, Bernd, Michael, Frank, Fabian oder Christian. Bin zwischen 40-60 Jahre alt und war schon immer ein Funktionsmensch, viel arbeiten, durchhalten gehörten schon immer zu meinem Leben. Meine Uniform ist die Businessklamotte der eher normalen Sorte, unspektakulär, nichtssagend farblich zwischen blau, grau, schwarz: Hemd, Anzughose, mal ne Jeans, schicke Schuhe oder a, casual Friday – wenn ich mutig bin – die Sneaker. In dieser Form ist auch mein Styling – Frisur „normal“ kurz, wie immer, bitte.
In der Freizeit trage ich meine, teuren, qualitativ-hochwertigen Outdoorkleidungsstücke. Dafür habe ich mich im Laden fachkundig beraten lassen und mich vorher eingelesen (logo! Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser). Ich habe Kleidung für Rennrad oder Mountainbike fahren, Skilaufen und mein Lauftraining im Schrank. Ich trage auch eine Uhr, die mir meine Leistungen anzeigt. Trainiere auch für den nächsten Volkstriathlon im Ort. Generell stehe ich darauf, Leistung zu erbringen, bin ehrgeizig, will den Wettkampf und der Beste sein. Stolz präsentiere ich auch meinen Kollegen mein neues bike, was ich alle paar Wochen mal fahre, habe ja leider zu wenig Zeit dafür.
Ich bin Manager, OFK, VP, Gefü, Vorstand, da habe ich nicht viel Zeit und werde ständig von Meeting zu Meeting getrieben. Meine Meinung zählt halt einfach, ich bin fachlich topfit, da macht mir keiner was vor und wenn mir einer quer schießt, lernt er mich kennen.
Ein schickes Auto, gepflegtes Haus und ansehnlicher Garten sind meine Standards. Samstags zum Wertstoffhof, da treffe ich meine Kollegen, die auch ihr Grünzeug wegbringen. Gehört halt dazu. Meine Frau und ich führen eine solide Ehe, sie kümmert sich um den Haushalt, die Kinder und das Soziale. Denn das schaffe ich nicht noch nebenher, komme ja schon eh nicht zum Sport oder dazu Freunde zu treffen.
Sie findet es oft ätzend, wenn ich dann mal Abends ein Bierchen trinken gehe. WO sind wir nur hingekommen? Wir reden doch eh nicht viel, am meisten bekomme ich Vorwürfe ab „das oder jenes“ mache ich mit den Kindern nicht richtig… manchmal frage ich mich, was sie den ganzen Tag macht? Kinder erziehen jedenfalls nicht, so verwöhnt, anspruchsvoll und frech die mir gegenüber sind. Wenn ich mich das früher bei meinem Vater getraut hätte… Und unter uns, was macht sie mit dem Geld, was ich verdiene? Nicht, dass ich da ein Problem hätte. Nein.
Irgendwann, wenn wir in Rente sind, fahren wir mal ganz verrückt mit dem Wohnmobil umher. Wenn die Kinder aus dem Haus sind und ihr eigenes Leben führen (wenn die das schaffen). Dafür arbeite ich ja jetzt auch so hart. Hetze von Verantwortung zu Verantwortung, macht ja sonst keiner, wird ja erwartet, sonst kann ich einstecken. Generation digital natives übernehmen, mehr „Leadership-Qualität“ ist gefordert, Gefühlsbetont Feedback geben – das habe ich nicht gelernt und manchmal habe ich Angst, dass sie mich aussortieren… Manchmal spüre ich eine Leere in mir, eine Erschöpfung, die sich richtig beängstigend, ätzend anfühlt – ich verdränge das dann, spüre so einen Druck, muss mich dann abreagieren.
Meine Kinder bekommen das manchmal ab, aber die sind auch sauanstrengend. Neue Klamotten, essen gehen gehört schon voll zum Standard und mit mir reden sie, als ob ich der Kellner wäre. Der Geld-Kellner. Ich fühle mich tatsächlich oft gefangen. Wettkampf, ständige Anforderungen bei der Arbeit, … ich kann bald nicht mehr. Ist das Herzrasen, das Ohrenfiepen jetzt normal? Aber nein, ich bin topfit, habe ein gutes Ansehen. Glaube ich.
Das Leben? Tja, das ist doch mein Leben. Warum soll ich da was ändern? Hab alles im Griff, läuft doch.
Gut, ab und an Druck auf der Brust, angespannter Kiefer und steifer Nacken und ja, die kurze Zündschnur – aber das ist doch verständlich bei dem, was ich alles leiste. Früher war ich noch viel aggressiver, bin schon ruhiger geworden. Aber ich habe mich von mir selbst entfernt, fühle mich als Marionette meiner Firma und auch von meiner Familie. Eigentlich weiß ich gar nicht, wie es mir geht. Ich frage mich das auch nicht. Meine Frau auch nicht.
Beziehung? Schwierig, ich habe ja so wenig Zeit.
Wie lange ich arbeiten möchte?
Was ich erreichen will?
Wer bei meinem 70. Auf mich anstößt – mit mir feiert?
Wie lange ich diesen Alltag durchhalte?
KEINE AHNUNG. Am liebsten gar nicht mehr.
Krank bin ich aber selten. Glücklich noch seltener.
Kann´s das gewesen sein? Bin ich jetzt in der midlife-crises, oder was?
Könnte ich mein Leben, meinen Alltag echt mit mehr Leichtigkeit, Freude und Freiheit verbinden?
Würde meine Frau und meine Kinder schon gerne mal wieder richtig lachen sehen. Mit meinem Vater mal wieder richtig sprechen. Das würde uns gut tun. Mit meinen Kindern Pizza essen, Späße machen, spielen, Filmchen schauen…
Einfach mal „da“ sein. Mich wohlfühlen, erholt fühlen, kraftvoll und Lust auf Freunde, Hobbies, Interessen von früher, wie Musik oder eh alte Freunde, die mir damals sehr viel bedeutet haben, treffen. Oder im Job meine Werte vertreten und für eine sinnvolle Sache einstehen, auf die ich oder später auch mal meine Kinder stolz sein können.
Hm. Wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich, was jetzt ansteht.
Ich weiß schon, was ich tun muss, damit es mit meiner Frau wieder schön wird, ich ihre schöne Art uns als Familie zusammen zu halten, ihre Großzügigkeit gegenüber der Familie wieder ehren müsste. Schlussendlich kennen wir uns bereits so lange und sie erduldet meinen Weg, versucht ja auch immer wieder mit mir Kontakt aufzunehmen.
Und was lebe ich meinen Kindern auch schon vor? Immer ist alles wichtiger als sie – Vorführungen, Fussball-Spiele oder erste Liebesbriefe möchte ich endlich wieder mitbekommen und sie in den Arm nehmen können, voller Stolz und Verbundenheit. Klingt kitschig? Zu schön um wahr zu sein? Es ist meine Entscheidung. Ich nehme lieber Kitsch, als Alltagsknast.“
So, natürlich ist dieser Text provokativ, zugespitzt. Und doch, liebe Männer, erlebe ich diese inneren Dialoge von vielen Funktionsmenschen in der tagtäglichen Arbeit. Ich teile es, damit du / damit ihr wisst, dass das sein darf. Und das du damit nicht alleine bist. Es geht soooo vielen ähnlich. Es wird nur nicht besser, wenn du es für dich behältst. Lerne einen Umgang, neue Denk- und Handlungsweisen kennen, damit du bewusst deine Entscheidungen triffst, die deinen Alltag bestimmen. Es darf wirklich leichter, lustiger und gleichzeitig voller Leistung sein.