Sei agil, jetzt!
Wir sind schon krass

Schon krass, was teilweise von Mitarbeitenden erwartet wird, die jahrzehntelang in hierarchischen Systemen gearbeitet und familiär gelebt haben. Deren Eltern in der Nachkriegszeit im Wesentlichen mit der Versorgung der Grundbedürfnisse zu tun hatten und für ihr Überleben gearbeitet haben.

Diese älteren Menschen sind manches Mal gerade „unsere“ Manager in exponierten Positionen in Unternehmen und diese sollen sich bitte ändern. Jetzt! Als ob wir es selbst ansatzweise schaffen würden, uns zu ändern, selbst wenn wir es wollten – erinnere dich an dein letztes Vorhaben mehr Sport zu treiben, freundlicher zu deiner/deinem Partner:in zu sein oder weniger Zucker zu essen. Wie lang hast du diese so gesunde und kluge Veränderung durchgezogen? Genau. Und jetzt versetzen wir uns einmal in einen Menschen ab Mitte 50, der, wie gesagt, jahrzehntelang in einer gewissen Organisationsordnung gearbeitet und funktioniert hat und dem die Transformation hin zu modernen Organisationssystemen schwer fällt.

Nicht falsch verstehen, es geht mir nicht darum, unsinniges Verhalten zu entschuldigen oder schön zu reden. Als jemand, der gerne in Veränderungen springt oder sehr selbstverständlich in die neuen Mindsets der modernen Arbeitswelt reingewachsen ist, ist es sehr anstrengend und herausfordernd, wenn andere nicht mitziehen und sogar diese Art der Zusammenarbeit torpedieren. Es geht mir hier nur darum, uns einmal in die Köpfe und Körper derer zu versetzen, die wir vielleicht gerade nicht verstehen.

Wie soll sich dieser Mensch ratzfatz in digitale und moderne, hierarchiefreie Arbeitsweisen einfinden? Und damit meine ich, dass dies schwierig ist, selbst wenn sie oder er es gerne möchten. Denn oftmals sitzen tiefe Prägungen in Verhaltensweisen und Denkmustern, die uns in schwierigen Zeiten Sicherheit gegeben haben, fest verankert. Uns jetzt anders zu verhalten, signalisiert dem Körper sofort und automatisch Stress und Anspannung. Das ganze Nervensystem wehrt sich gegen Veränderung. Dieses „ach, der will sich einfach nicht ändern“ stimmt in manchen (!) Fällen nicht.

Wir dürfen lediglich eine Schicht tiefer graben. Ähnlich dem Beispiel, warum es so schwer fällt regelmäßig Sport zu treiben, obwohl der Verstand es als absolut wichtig und richtig erachtet. Irgendetwas in dir hat das Gefühl sitzen zu bleiben, daheim zu bleiben. Und das blockiert das gute Vorhaben.

So ergeht es manchen meiner Klient:innen, die nun auf einmal in „fluiden, agilen Teams eigenverantwortlich, selbsteuernd“ arbeiten sollen. Sie sind gehemmt eigene Entscheidungen zu treffen. Sie fühlen sich in Frage gestellt, wenn ihre Erfahrung und ihr über die Jahre angehäuftes Wissen nicht mehr gefragt wird und sie ihre Verantwortung abgeben sollen. Bisher stand viel Verantwortung immer für viel Sicherheit und gesehen werden.

Diese Menschen brauchen Zeit die eigenen Blockaden zu erkennen und zu lösen, damit das Nervensystem nicht gleich wieder Stress signalisiert. Sie brauchen einen tiefschichtigen Lernprozess, der sie dahin führt, dass Delegation nicht ihre Position gefährdet. Das haben sie so noch nicht erlebt und stresst sie erst einmal, wenn sie nicht auf mentaler, emotionaler und körperlicher Ebene verstehen dürfen, dass das nur auf Erfahrungen beruht, die sie bisher gemacht haben. Dass sie sich sicher fühlen dürfen in heutigen Settings der Zusammenarbeit, wenn sie den Expert:innen die Verantwortung und auch die Lorbeeren lassen. Dass sie es sich leichter machen dürfen. Daran darf man sich gewöhnen lernen, lasst uns sprechen und Zeit geben – nicht ausschließen, sondern mitnehmen. Dann wird vieles im Unternehmen leichter und langjähriges Erfahrungswissen hat neben innovativen Herangehensweisen auch seinen Platz.